Die Rolle der Apotheke für OTC Marken in Deutschland – zwischen Gatekeeper und Innovationsblocker
KittoKatsu Meinung
von Philippe Henco
Apotheker:innen sind nach Ärzt:innen die Menschen, denen wir mit gesundheitlichen Fragen am meisten vertrauen. Ihre Produkt-Empfehlungen nehmen wir oft ohne Hinterfragen entgegen, denn sie kennen sich mit ihren Produkten am besten aus und sind bemüht, die für uns beste Antwort zu finden. Aber hat dieses Bild noch Bestand?
Das Dilemma in der Apotheke heute: Nahezu jede Entscheidung wird aus einem wirtschaftlichen Zwang getroffen. Was bedeutet der Zwang für echte Innovationsprodukte in der Apotheke?
1. Apotheker:innen haben kein Interesse an langen Beratungsgesprächen, da jede investierte Minute potentiell die Marge mindert (durch administrative und behördliche Regularien bleibt zusätzlich immer weniger Zeit für die eigentliche Kern-Aufgabe des Apothekers:in).
2. In der Konsequenz empfehlen Apotheken vornehmlich von ihnen selbst und auch vom Kunden bereits gelernte Produkte in bestehenden Kategorien – dies sind allzuoft etablierte Marken, mit zu häufig veralteten Wirkprinzipien
3. Echte Innovationsprodukte mit neuen Wirk-Mechanismen bedeuten für Apotheker:innen zu viel Aufwand in der initialen Auseinandersetzung (Lern-Phase) und später in der Kundenüberzeugung (Verkaufs-Phase)
4. Die Kernarbeit des Beratens/Verkaufens wird zudem immer häufiger von PTAs (Pharmazeutisch-technischen-assistenten:innen) durchgeführt und nicht vom Apotheker:in. Ihr Produktwissen erlangen sie häufig durch die Vertriebsaktivitäten großer Healthcare und Pharma-Unternehmen und nicht von unabhängigen Institutionen.
5. Die Produktmarge ist wichtiger Entscheidungsfaktor für die Empfehlung und steht häufig der sinnvollen Empfehlung im Weg.
Was bedeutet diese Erkenntnis für Marken, die im Apothekenumfeld aktiv werden wollen – unabhängig großer OTC-Marken oder der Innovationsmarke eines Start-Ups?
1. Produkte in etablierten Kategorien positionieren vs. dem Versuch gelerntes radikal verändern zu wollen
2. Einfache und klar strukturierte Botschaften, mit wenigen Bullet Points vs. komplexen, zu langen wissenschaftlichen Erklärungen
3. Simplifizierte Darstellung der Wirkweise vs. Detailgrad der Beweisführung
4. Visuelle Ankerpunkte bieten, die gelernte Codes bestätigen vs. zu moderne Gestaltungsansätze
5. Wirtschaftliche Benefits für Apotheker aufzeigen vs. auf Innovationsüberzeugung des Produktes zu setzen
(In einem anderen Marktumfeld würden wir von folgendem Vorgehen dringend abraten wollen, da es ein vorsichtiger, konservativer und innovations-einschränkender Weg ist. In der typischen deutschen Apotheke scheint es aber derzeit der einzige Weg zu sein, um neue Produkte erfolgreich im Markt einführen zu können.)
Aber welche Chancen gibt es für junge, innovative OTC-Marken?
Ohne starke Industriepartner aus dem Healthcare- oder Pharmabereich können junge Marken kaum den OTC-Markt der Apotheke durchdringen. Der Zugang wird gleich von zwei Seiten geblockt: dem Gatekeeper Apotheke und dem Gatekeeper etablierter OTC-Marken großer Unternehmen. Sie beide blockieren aus unterschiedlichen Beweggründen echte Innovation.
Es bleibt dennoch eine große Chance für junge Healthcare-Marken: aufgeschlossene Konsument:innen sind heute informierter denn je. Sie nutzen Suchmaschinen und Social Media, um eigene Lösungen für gesundheitliche Probleme zu finden. Sie vertrauen auf ihre eigene Meinungsbildung, anstatt sich an veralteten Strukturen zur Wissensfindung zu orientieren. In diesem Rahmen haben junge Marken gerade im OTC-Bereich die Chance die bekannten Verkaufskanäle/Gatekeeper, wie stationäre oder Online-Apotheke erfolgreich zu umgehen.
Warum Direct-to-Consumer (D2C) im OTC-Umfeld eine echte Chance für junge Marken bietet:
1. Die eigene Marken- und Produktgeschichte kann am überzeugendsten selbst erzählt werden. Durch jeden Mittelsmann/frau, sei es Vertriebspartner, Außendienst, PTA oder Apotheker:in geht ein Teil der eigenen Geschichte und Emotion verloren. Wer seine Geschichte selber erzählt, kann mit Leidenschaft begeistern.
2. Vertriebsstrukturen zu etablieren ist kostenintensiv (selbst, wenn es sich um einen Leihaußendienst handelt). Ein fremder Außendienst wird zudem nie so involviert sein, wie das eigene Team.
3. In der Apotheke treten eigene Produkte immer in den direkten Konkurrenzkampf mit etablierten Marken – gerade bei jungen Marken/Innovationen führt der Vergleich mit gelernten Playern zu Skepsis, die der Innovation unnötig schaden.
4. Es gibt keine Zwischenhändler an die unnötig Marge bezahlt werden muss (beispielhaft Vertrieb, Großhandel, Apotheke).
5. Im Direktvertrieb ist im Zusammenspiel mit einer starken Marke ein Preispremium möglich (vs. starker Preissensibilität im Apothekenumfeld).
Wie sollte das zur Verfügung stehende Geld eingesetzt werden:
- Eigene Infrastruktur in Form eines performanten und modernen Online-Stores etablieren. Hierzu gibt es heute durch Anbieter wie Shopify oder ähnliche einfache und schnell zu realisierende Möglichkeiten.
- Invest in authentische Marken-Advokaten/Testimonials, die bereits eine passende Zielgruppe in den sozialen Medien mit-einbringen. Je nach Bekanntheit des Advokaten können diese Kooperationen auch über die Beteiligung am Unternehmen finanziert werden, wodurch die Involvierung des Testimonials in den eigenen Markenerfolg nochmals gestärkt wird.
- In kleinen Schritten kann durch flexible Budgets über digitale Werbemöglichkeiten viel schneller gelernt werden, mit welchen Botschaften, Creatives und Formaten sich die eigene Zielgruppe finden und erreichen lässt.
Wenn etablierte Strukturen Innovation nur eingeschränkt erlauben, darf dies nicht auf Kosten des Fortschritts gehen. Innovationen können heute ihren Weg auch über nicht-klassische Kanäle finden und sind dabei gleichzeitig viel näher an ihrer Zielgruppe, was zu einer vertieften Markenbeziehung führt.
Let’s Talk!
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Gemeinsam Konventionen hinterfragen –
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